Im Nachgang des Auswärtsspiels in Rostock am 2.4.2022 erreichten uns zahlreiche Gedächtnisprotokolle zu den Ereignissen vor Ort. Nach Auswertung der Protokolle und unserer eigenen Beobachtungen an diesem Tag müssen wir feststellen, dass die Polizeitaktik am Gästebereich des Stadions augenscheinlich falsch war und dass viele Fans durch offenkundig unangemessene Anwendung von Gewalt durch die Polizei verletzt wurden.
Während der Halbzeitpause des Spiels konnten Heimfans minutenlang den Umlauf des Gästebereichs mit pyrotechnischen Artikeln sowie Farbkartons beschießen bzw. bewerfen, ohne dass die in Sichtweite mit einem großen Aufgebot postierte Polizei eingriff. Im Anschluss an diese Aktion stürmte die Polizei in den Umlaufbereich des Gästeblocks und drängte die dort stehenden St. Pauli-Fans unter Anwendung von Gewalt in den Block. Da dieser gut gefüllt war, gab es einen Stau im Mundloch, so dass die Fans sich nicht weiter bewegen konnten. Trotzdem wurden sie in dieser Situation weiter mit Fußtritten und Schlägen traktiert.
Zum Spielende wurden die Fans des FC St. Pauli aufgefordert, sich zügig zu den Shuttlebussen zu begeben, um den bereitgestellten Sonderzug zu erreichen. Dieser Aufforderung kamen die Fans nach, allerdings fuhren die Shuttlebusse mit den ersten Fans halbvoll zum Bahnhof. Die Masse der Gästefans staute sich am Auslass, wo die Stadiontore geschlossen worden waren. Direkt davor befand sich ein Wasserwerfer*, welcher auf die wartenden St. Pauli-Fans ausgerichtet war. In diesem Bereich wurden diese dann erneut aus Richtung Heimbereich mit Pyrotechnik attackiert. Der Angriff erfolgte aus dem selben Bereich, aus welchem schon während der Halbzeitpause die Gegenstände geflogen kamen. Statt diesen allerdings zu besetzen und somit einen Angriff unmöglich zu machen, konzentriert sich die Polizei in erster Linie auf die Gästefans, welche eigentlich bereit waren in die Shuttlebusse einzusteigen. Es wurden Wasserwerfer, Schlagstöcke und Reizgas gegen die St. Pauli-Fans eingesetzt, während diese von der Polizei auf engstem Raum festgesetzt waren und weiter dem ungehinderten Beschuss mit Pyrotechnik ausgesetzt wurden.
Viele St. Pauli-Fans erlebten bei diesen Einsätzen Momente der Panik und es gab zahlreiche Verletzte. Auch zwei Mitarbeitende des Fanladens wurden in Ausübung ihrer Tätigkeit durch Fußtritte bzw. den Einsatz von Reizgas von der Polizei verletzt.
Der im Anschluss verfasste Polizeibericht gibt nach unserer Einschätzung die Umstände nicht korrekt wieder. Gerade die Polizei sollte nicht – und darf es gesetzlich auch nicht – Schnelligkeit und mediale Lufthoheit vor inhaltliche Korrektheit ihrer Berichte setzen. Glücklicherweise sind bereits am folgenden Tag nahezu alle Medien ihrem Auftrag nachgekommen und haben Polizeibericht und Realität kritisch abgeglichen. Die zu diesem Zeitpunkt schon zahlreichen Berichte in Fanmedien hatten darauf einen erkennbaren Einfluss und zeigen wie wichtig selbstorganisierte Stimmen aus der Fanszene sind.
Wir fordern…
- …dass die Polizei in Rostock die angekündigten Untersuchungen zu diesem Einsatz gewissenhaft, konsequent und selbstkritisch vollzieht.
- …eine öffentliche Entschuldigung der Rostocker Polizei bei den betroffenen St. Pauli-Fans.
- …dass die für den Einsatz am Stadion verantwortlichen Beamt:innen zukünftig nur noch in Bereichen und Situationen eingesetzt werden, denen sie auch gewachsen sind.
- …endlich die Einrichtung einer unabhängigen Beschwerde- und Ermittlungsbehörde für die Untersuchung von Polizeigewalt.
Abschließend möchten wir allen St. Pauli-Fans danken, die mit ihrem besonnenen und solidarischen Verhalten dazu beigetragen haben, die Situation nicht noch weiter zu eskalieren und so die Entstehung einer Massenpanik verhindert haben. Ihr seid großartig!
Fanladen St. Pauli, 7.4.2022
PS: Dass es auch anders geht, hat beispielsweise der Polizeieinsatz bei unserem letzten Gastspiel in Hannover gezeigt. Der Rostocker Polizei sei hiermit empfohlen, sich bei ihren Hannoveraner Kolleg:innen Tipps abzuholen, wie man freundlich, wertschätzend und deeskalativ mit Gästefans umgeht. Den Kontakt vermitteln wir gerne…
*Anmerkung: In der ersten Version des Textes war an dieser Stelle von „zwei Wasserwerfern“ die Rede. Wir haben das auf „ein Wasserwerfer“ geändert.